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AUS DIE ZEIT

Dieses Thema im Forum "Sky - Technik/Allgemein" wurde erstellt von lagpot, 4. April 2002.

  1. lagpot

    lagpot Gold Member

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    DIE ZEIT

    Wirtschaft 15/2002

    Wer zittert, hat schon verloren


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    Kirch vor dem Aus: Rupert Murdoch und Silvio Berlusconi kämpfen mit den Banken um das Erbe. Den Mitarbeitern wäre jeder Retter recht

    von Wolfgang Gehrmann und Peter Littger

    Anfang März verschickten die drei Topmanager der KirchGruppe, Dieter Hahn, Klaus Piette und Urs Rohner, eine gewohnt ungenaue, aber ungewohnt offene Hauspost: "Wie Sie alle wissen, führt das Management mit verschiedenen Banken und Partnern Gespräche, um mit deren Hilfe Zukunftssicherheit für eine wettbewerbsfähige Unternehmensgruppe zu schaffen ... Sollten Entscheidungen getroffen werden, die eine Auswirkung auf Ihren Aufgabenbereich haben, würden wir Sie im Vorfeld umfassend informieren."

    Das war der Hausalarm: Leo Kirchs Medienkonzern mit den Fernsehsendern Sat.1, ProSieben und Premiere steckt in seiner vermutlich finalen Krise. Der Firmengründer wird sein mit sieben Milliarden Euro verschuldetes Imperium verlieren - offen ist, ob durch Konkurs, Übernahme oder Zerschlagung der KirchMedia GmbH und ihrer Beteiligungen. Vieles deutet darauf hin, dass dem italienischen Medienzaren und Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und dem australo-amerikanischen Presse- und Fernsehunternehmer Rupert Murdoch die Reste von Kirchs Reich in die Hände fallen werden. Minderheitsbeteiligungen halten sie bereits.

    Täglich rechnen die Mitarbeiter der Kirch-Firmen in München und Berlin mit der entscheidenden Hiobsbotschaft von oben. Wo im Flurfunk noch vor kurzem über die Ausstattung der nächsten Hausparty gegackert wurde, laufen jetzt Hinweise auf die Zahlungsunfähigkeit des Konzerns um. Alle wissen, sie sind die Verfügungsmasse eines riesigen Pokerspiels, das eine Hand voll Banken, Medienfirmen und die Tycoons Berlusconi und Murdoch spielen. Es sei eine "Abzocke", bei der alle Beteiligten den Hauptgewinn wollen, sagt ein Kirch-Vertrauter.

    Die Zockerei lief über Ostern in zahllosen Telefonaten rund um die Welt. Gründonnerstag waren Banker und Anteilseigner in der bayerischen Landesbank in München ergebnislos auseinander gegangen. Wenig drang über die Verhandlungen nach draußen. Nur, dass die Gespräche chaotisch und die Akteure weit auseinander seien. Es könne Wochen dauern, ehe man zu Stuhle komme, ließ ein Banker verlauten.

    Die Kirch-Aktionäre Murdoch und Berlusconi treiben das Spiel auf die Spitze, weil sie sich sicher sind, gute Karten zu haben. Lächelnd würden sie den Konkurs der KirchMedia AG in Kauf nehmen. Als Teilhaber haben sie Vorkaufsrechte - sie könnten sich im Räumungsverkauf billigst deutsche Fernsehmarken, Inhalte und Abonnentenkarteien sichern. Berlusconis Dachfirma Mediaset hatte schon früh verlauten lassen, man denke nicht daran, weiteres Geld in Kirchs Firmen einzuschießen. Und die Beteiligung an der KirchMedia habe man schon auf ein Fünftel abgeschrieben. Ein Berlusconi-Manager: "Die Pleite raubt uns nicht den Schlaf. Schwerer haben es die Gläubigerbanken."

    Stimmt. Murdoch und Berlusconi wollen nur einsteigen, wenn die Banken einen Überbrückungskredit von 200 Millionen Euro geben und auf den Großteil ihrer Forderungen verzichten. Am besten positioniert ist die Deutsche Bank, die sich aus den Verhandlungen auch weitgehend heraushielt. Ihren Kredit über 615 Millionen Euro hat sie durch die Verpfändung von 40 Prozent der Anteile besichert, die Kirch am Springer Verlag hält. Bei einem Bankrott des Münchner Medienzaren gehen die Aktien an die Bank, die dann einen genehmen neuen Anteilseigner suchen könnte. Relativ gut steht auch die Dresdner Bank da. Sie hatte sich kürzlich die Verlängerung eines Kredits über 460 Millionen Euro an Kirch bis April durch die Übertragung von 25 Prozent am profitablen spanischen Fernsehsender Telecinco besichern lassen. Der Chef der DZ-Bank, Ulrich Brixner, warf dem Kollegen Bernd Fahrholz von der Dresdner prompt vor, sich Sicherheiten auf Kosten anderer zu erschleichen. Alle übrigen Banken nämlich haben im Kirch-Poker ein schlechtes Blatt. Die Bayerische Landesbank ist mit zwei Milliarden Euro Kirchs größter Gläubiger. Sie hat, nicht ohne Zutun der bayerischen Staatsregierung, Kirchs überteuerten Einstieg in die Formel 1 und sein ewig kränkelndes Abofernsehen Premiere finanziert. Gemeinsam mit der HypoVereinsbank, die mit 460 Millionen Euro engagiert ist, kämpft die Landesbank deshalb am entschiedensten gegen die Kirch-Pleite.

    Der Insolvenzantrag aber kann täglich kommen. Allein die Hollywood-Studios Universal, Paramount und Columbia warten auf Kirch-Zahlungen von jeweils mehr als 100 Millionen Dollar. Auch die amerikanischen Filmbosse verhandeln deshalb mit. Den stärksten Triumph hält Rupert Murdoch. Am 1. Oktober kann er Kirch seine 22-Prozent-Beteiligung am Pay-TV-Sender Premiere zurückgeben, weil der Sender nachhaltig seine Geschäftsziele verfehlt. Kirch müsste Murdoch dafür 1,75 Milliarden Euro zahlen. Und dieses Ass wird Murdoch ganz sicher laut auf den Tisch knallen.

    Gerhard Schröder wagt sich vor

    Murdoch und Berlusconi als Erben Leo Kirchs - die Vorstellung, dass die beiden Großunternehmer den deutschen Medienmarkt aufmischen, ist ein Politikum. Auf ihren Heimatmärkten sind weder Murdoch noch Berlusconi als Sachwalter verantwortungsbewusster Publizistik aufgefallen. Ein paar Tage ließ Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Regierungssprecher Leerformeln verbreiten. Dann wagte er sich in einem Spiegel-Interview zu der Formulierung vor: "Ich glaube, wenn er (Murdoch - d. Red.) ähnlich erfolgreich wie in England Pay-TV macht, sollten wir keinen Einwand haben. ... Bei Berlusconi glaube ich, dass es nicht unproblematisch ist, wenn ein Ministerpräsident eines mit uns befreundeten Landes über seine privaten Unternehmen ausgerechnet im deutschen Medienbereich Einfluss hätte."

    Im Kanzleramt ist nun von "gesellschaftlicher Verantwortung der Banken" die Rede - es könne doch nicht sein, dass über die Zukunft der deutschen Medienlandschaft von ein paar Banken allein aufgrund von Renditekriterien entschieden werde, heißt es hilflos. Auch über föderalistischen Kompetenzwirrwarr der Medienpolitik wird geklagt - nach der Wahl müsse das reformiert werden. Mit diversen Interviews versuchten Vertreter des rotgrünen Lagers Stimmung gegen die unerwünschten Investoren zu schaffen. NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement nannte die Aussicht, dass Murdoch und Berlusconi kämen, "ungeheuerlich". Grünen-Vorsteher Fritz Kuhn gab bekannt, sein Parteivorstand werde einen Medienanwalt beauftragen zu prüfen, was sich rechtlich gegen Berlusconis Einstieg machen lasse. SPD-Fraktionschef Peter Struck wendete die drohende Invasion gleich zur Attacke auf Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber. Die bayerische Staatsregierung habe durch unverantwortliche Kreditvergabe an Kirch die Tore für Murdoch und Berlusconi aufgestoßen.

    Stoiber selbst ist auf Tauchstation. Aus seinem Umfeld heißt es nur, der Ministerpräsident wolle sich aus der Kirch-Krise heraushalten. Dem CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Alois Glück, blieb es vorbehalten, die weiß-blaue Position in diesem Teilaspekt der Einwanderungspolitik zu vertreten: Es gebe keinen grundsätzlichen Vorbehalt gegen den Einstieg ausländischer Investoren. Das Wichtigste sei, in München Arbeitsplätze zu erhalten.

    Die ersten sind schon verloren. In der nächsten Woche wird die Abwicklung der Abonnenten Service Gesellschaft (ASG) und ihrer 120 Mitarbeiter verhandelt. Es ist ein erstes kleines Feuer am Rande eines Krisenherdes, in dem mit jedem Tag die Gefahr eines Flächenbrandes wächst. Mehrere tausend Arbeitsplätze drohen unterzugehen, ein wichtiger Zweig der europäischen Medienindustrie und der Traum vom Bezahlfernsehen in Deutschland.

    Ursache des Debakels ist vor allem das Dahinsiechen der Pay-TV-Gesellschaft Premiere. Tag für Tag verliert sie zwei Millionen Euro. Die Gesamtschuld beträgt rund 3,2 Milliarden Euro - die Zahl der Kunden liegt mit rund 2,5 Millionen weit unter dem Plan von vier Millionen. Eilige Maßnahmen wie ein "Schnupperabo" zu fünf Euro sollen Premiere nun retten. Vor zwei Wochen wurde der Gratissaft für alle Mitarbeiter gestrichen. Der neue Chef Georg Kofler strich Anglizismen im Sendernamen und im Programmangebot, um deutsche Zuschauer besser anzusprechen. Premiere World heißt jetzt einfach Premiere. Und er will bis zu 800 Stellen streichen. Man kündige "Stock für Stock", heißt es lakonisch aus dem Unternehmen. Vor Ostern verloren Dutzende ihre Jobs - und am Dienstag mussten 44 Kollegen der Online-Redaktion gehen.

    Die Mitarbeiter sind für jeden Investor offen, deutsch muss er nicht sein. Und überhaupt, eine deutsche Lösung? "Das würde nur bedeuten, dass Springer oder die WAZ einsteigen", sagt ein leitender Nachrichtenredakteur in Berlin. "Ich bin mir sicher, dass 90 Prozent meiner Kollegen dagegen wären. Die TV-Erfahrungen in beiden Verlagen sind schlecht oder gar nicht vorhanden." Mehr Zustimmung erfahren Murdoch und Berlusconi: in München vor allem der Italiener, in Berlin mehr der Australier. Politische Bedenken haben kein Gewicht. "Wir sind ein kostenorientierter und kein politisch orientierter Sender mehr", hört man Kollegen sagen. Mit Rupert Murdoch werde man schon fertig. "Wenn er sich nicht dem deutschen Markt und unseren Arbeitsweisen anpasst, wird er mit uns keinen Erfolg haben", tönt es gar auf unterschiedlichen Etagen der ProSiebenSat.1 Media AG. Der Trotz der Verlierer?

    Unterschiedliche Auffassungen über den wahren Wert der AG, an der KirchMedia 52,5 Prozent hält, sind ein Streitpunkt bei den Investorengesprächen. Niemand wisse, welche Verpflichtungen die AG habe und welche unterschiedlichen Kräfte in ihr wirken, wurde kolportiert. Innerhalb der KirchGruppe hat sich seit Jahren ein reger Geld- und Warenumsatz entwickelt - immer nach der Devise: "Am Ende ist sowieso alles Kirch." Dass diese Geschäfte immer den realen Marktbedingungen entsprachen, wird bezweifelt. Sat.1 und ProSieben stehen offenbar auch gesund da, weil sie Filmrechte sehr günstig von Premiere erhalten. Gleiches gilt für technische Dienstleistungen, die ebenfalls durch Töchter der KirchMedia, etwa SZM studios oder Plaza, erbracht werden.

    Noch tückischer als die geschäftlichen Verstrickungen der AG sind ihre internen Konflikte. Zwar vereint die größte deutsche Fernsehfirma seit ihrer Gründung im Herbst 2000 die Sender ProSieben, Sat.1, Kabel1 und den Nachrichtenkanal n24 unter einem Dach. Doch die Sender haben sich nie richtig aufeinander abgestimmt. Wie so oft unter Leo Kirch dienen profitable Geschäftszweige dazu, nichtprofitable zu finanzieren. In anderen Branchen mag diese Strategie funktionieren - im Fernsehen erzeugt sie große Spannungen, die jedem Gesellschafter Schwierigkeiten bereiten würden - egal, ob er Murdoch oder Berlusconi heißt. Sollten sie schließlich die neuen Gesellschafter werden, müssten sie die schwierige Aufgabe meistern, bei ProSiebenSat.1 erstmals die innere Einheit herzustellen. Mit Kostendruck ist das nicht zu schaffen.